Voller Elan ins Spiel vertieft

                                                                                                                                                                                                                         von Andrea Jacob

Mit der Motorik entwickelt ein Baby auch seine Intelligenz.
Mit der Erfahrung und dem Kontakt zu anderen Kindern
verankert das Kleinkind Selbstvertrauen und Lebenskompetenz.

Mit allen Sinnen spielen können, fördert die Intelligenz ebenso wie die gesamte Entwicklung des Kindes, mittels dabei entstehender Verknüpfungen im Gehirn. Mit Gefährten in heiteres Bewegungsspiel versunken zu sein, hat somit nicht nur positive Auswirkungen auf  Selbstvertrauen und Lebensgefühl, sondern auch auf Motorik, Sprachentwicklung und soziale Kompetenz unser heißgeliebten Sprösslinge.

Faszinierendes Spielmaterial

Wer ist von uns Eltern nicht auch auf der Suche nach dem Spielzeug, das nicht gleich in der Ecke landet. Hier im Spielraum für Bewegung nach Pikler und Hengstenberg auf dem Daxenmarkt der Montessori Schule Biberkor in Bayern scheint es nur solche Wunderspielzeuge zu geben: Alle kommen, gucken, spielen, klettern und wollen gar nicht mehr aufhören. „Jetzt sind wir schon wieder da.“, sagt ein Vater lächelnd während er ergeben stöhnt. Es ist Nachmittag und seine Kinder kamen am Vormittag zum ersten Mal in diesen Raum, in dem viele einfache hölzerne Bewegungsspiele aufgestellt sind. Während draußen auf dem winterlichen Weihnachtsmarkt Trubel herrscht, lädt dieser Raum wie ein warmes Nest ein zu bleiben und im Spiel zu regenerieren. Das jüngere Mädchen klettert das xte Mal durch einen Holztunnel, denn sie anschließend aufstellt und in der Vertikalen besteigt.

Spielregeln inklusive

Die draußen angeschlagenen Regeln hierfür lauten: 1. Wir klettern mit beiden Händen. 2. Wir stören die anderen nicht beim Klettern. 3.  Diese Regel gilt für die Eltern und Begleiter:  Wir sichern unsere Kinder um den Rumpf oder am Rücken. Wir führen nicht an der Hand, - aus Sicherheitsgründen. Denn die Sicherheit ist groß geschrieben. Hier sind alle akrobatischen Klettereinheiten so tief gelegt, dass kein kindliches Sprunggelenk ernstlich gestaucht werden kann.  

Viele Kinder sind es sehr gewöhnt im Alltag geführt zu werden. Aus gutem Grund: Da gibt es Verkehr auf der Straße, zwei Kinder und ein Baby im Kinderwagen zwischen Supermarktregalen oder die Dinge am Wegrand zur Krippe sind einfach zu attraktiv und die Zeit drängt… Vor allem, wenn die Kinder laufen lernen, gibt auch die elterliche Hand einen starken Rückhalt und liebevolle Führung. Doch hier im Spielraum ist die Umgebung vorbereitet, alle ungeeigneten Kleinteile sind hochgestellt und der Freiheit steht nichts mehr im Wege. Der Spielraum ist eine Einladung dazu, lieber 30 cm selbst zu balancieren, als dreimal die ganze  Balancierstrecke geführt zu werden. Das gibt Selbstsicherheit und die Kinder lernen die Geräte richtig einschätzen. Sie wissen dann, was sie sich selbst zutrauen können.

Großer Andrang: Alle wollen auch! 

Ein Spielgefährte spielt nun mit dem Mädchen Verstecken im Holztunnel und dann gehen beide rutschen. Da muss man sich sogar kurz anstellen. Die größere klettert am 5-Stangengerät einmal bis unter die Decke des Raums und lässt sich dann neben größeren Jungs nieder zum Bauen mit Kapla Steinen, sehr schmal und exakt geschnittene Bausteine aus Holz, mit denen man auch freitragende Bauten erstehen lassen kann. Der Turm der Jungs reicht bis über ihre Schultern.

Doch nicht nur junge und ältere Grundschulkinder wie diese beiden finden hier interessantes Bewegungsmaterial. Die ganz Kleinen werden aus den Tragetüchern genommen und ganz hinten im Raum in einer geschützten Ecke auf die Spieldecke gelegt. Der Vater setzt sich ganz nah zu seinem Sohn und mit wachem Blick äugt das Baby zu den kletternden Kindergartenkindern hinüber, dann zum Papa und gleich darauf hascht es nach dem neben seinem Kopf liegenden Holzspielzeug. Gleich nebendran arbeitet sich ein kleines Mädchen auf zwei Beinen noch wankend auf die Krabbelkiste, an der ein 14cm hoher Rutschkeil befestigt ist. Daneben führt ein Sprossenkeil 14 cm „bergauf“. An der Rutsche merkt das Mädchen, dass es mit den Socken abrutscht. Es rudert mit den Armen und lässt sich, bestärkt durch die daneben sitzenden Eltern, auf alle viere nieder um die Rutsche hinabzuklettern. Sie bringt dem Baby zwei Spielsachen und zurück will sie schon im Stehen über die Babyrutsche hinauf. Das ist der Moment, in dem viele Eltern den Kindern für fünf Minuten die Socken ausziehen, weil die Füße auf dem warmen Holz so schön haften zum Klettern. Die Großen nutzen den Effekt ja auch nebendran mit Feuereifer auf dem 5-Stangengerät.

Betreung leicht gemacht mit kleiner Einweisung

Eine Mutter, die nach einer kleinen Einweisung das erste Mal für zwei Stunden im Spielraum betreut hat, spricht ganz offen über ihre Erfahrungen. Sie ist sichtlich berührt. Anfangs sei es ungewohnt, so zurückhaltend und doch nah zu sichern. Die Betreuung fordere ständige Beobachtung und wärmendes Interesse, denn die Kinder werden nicht allein gelassen, wenn sie experimentieren. Sie würden frühzeitig informiert, über Gefahren aufgeklärt und mit einem offenen Herzen gewärmt. Nicht der kritische Blick, - echte Teilnahme motiviere und bestärke.

„Wenn man sieht, wie schnell die Kinder lernen und sicher werden, ist man bass erstaunt. Die Freude über den Lernerfolg ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Und im Vergleich könnten Kinder, die an der Hand geführt werden nicht so viel lernen, weil sie sich dadurch oft nicht in ihrem eigenen Schwerpunkt befinden. Man erkennt im freien Spiel den Charakter der Kinder und deren Vorlieben und Stärken. Ich habe mir echt viel mitgenommen.“

Letztes Jahr beugte sich ein von der sichtlich angetanen Stufenleitung herbeigeholter Vorstand zur Tür herein. Sein Gesicht war eher aufmerksam und ernst. Er schien die Anschaffungskosten zu überschlagen. Ein paar Wochen später teilte mir die Stufenleitung bei einer Gelegenheit mit, dass der Kindergarten schon Bewegungsmaterial erstanden habe, aber der Raum dazu noch gefehlt habe.

Die Erfahrung machen und Erfolge realisieren

Gerade heißt es, schnell Fotos machen, denn die großen Jungs präsentieren sich mit ihren Bauwerken. Die Türme sind beeindruckend hoch. Der Turm davor ging aus der Nähe fast nicht mehr aufs Bild. Die Kinder hatten sich auf Stühle gestellt, um maximal in die Höhe zu bauen.

Es ist kaum zu fassen: 2018 haben rechnerisch über 60 Familien den Raum während des Weihnachtsmarktes von 10:00 bis 17:00 besucht. Die Kinder oft mehrmals. Doch die Atmosphäre im überwiegend vollen Raum ist ruhig und heiter. Jeder spielt angeregt und entspannt. Die Größeren bauen versunken und konzentriert. Öfter wird gelüftet, aber alle entspannen sich und finden zur Ruhe. Eltern sieht man am Rand in die Beobachtung der endlich mal zufrieden und vergnügt spielenden Kinder versunken. Sie erholen sich merklich. Zwei ältere Damen haben sich an die Seite gesetzt und tauschen sich tief aus. Zwei Schülerinnen aus den höheren Klassen sitzen gerade auf der Couch in der Stillecke und plauschen leise.

Trotzdem wird bei den Kindergartenkinder wie am Fließband gerutscht, nur jedes Mal anders: Ohne Randbegrenzung der Rutsche kann man im Sitzen, rücklings, bäuchlings und seitwärts rutschen. Drei Kinder haben sich den Holztunnel geschnappt und rutschen durch den von den Betreuern ausnahmsweise gehaltenen Tunnel  in eine dunkle Polsterhöhle. Spannend. Mit größtem Vergnügen über eine Stunde. Wiederholen sie die Geburt? Trauma ade!

Geeignete Einteilung der Lernschritte sorgt für wenig Risiko und gute Körperbeherrschung

Und dann gibt es da auch Herausforderungen, die lassen sich nicht in zehn Minuten bestehen. Viele motorische Abläufe und Muskeln müssen aufgebaut werden. Der ganze Rumpf muss trainiert werden. Der Mittelfuß stärkt sich automatisch, weil er um die runden Holzstangen greift und beim Klettern mehr arbeitet als auf geradem Boden. Plattfüße kennen diese Kinder nicht, die frei spielen können. Der Rücken ist gut trainiert, wenn sie sich aufsetzen. Die Kinder können stehen und sich in der aufrechten Position jederzeit wieder sicher auf den Boden niederlassen. Dann ist freies Gehen kein Risikounternehmen mehr. Ein kleiner Schritt, dem viele vorausgingen. Diese Kinder haben wahrlich Erfahrung gesammelt. Die trainierten Füße, die starken Muskeln der Beine können diesen festen wendigen Rumpf tragen, wenn die Senkrechte erreicht ist. Die Motorik, die grundlegend für die Schulreife ist, ist dann schon weit eher als angesetzt vorhanden und die Unfallgefahr sinkt beträchtlich.

Spielräume für Bewegung vor Ort

Ob nun diese Bewegungsspiele als wöchentlicher Kurs besucht werden, ob es eine Kinderaktivität auf einer schulischen Veranstaltung ist, ob die Klettergeräte Zuhause im Wohnzimmer stehen, ob nun Altersmischung oder nicht, ob die Krippe oder der Kindergarten einmal in der Woche für die halbe Gruppe zwei Stunden Bewegungsspiele anbietet: Es ist egal, die Kinder sind immer unermüdlich und begeistert. Eine Montessori Kita hat diese Geräte angeschafft und die Leitung war überzeugt: „Hier spielen die Kinder alle zusammen, das machen sie sonst nur im Wald. Und was die sich einfallen lassen an Spielen und bauen aus den Geräten. Ich bin echt beeindruckt.“

Ein bisschen Knowhow ist schon dabei: Die Kinder werden nicht außer Acht gelassen, wenn neue Geräte in den Raum kommen, bis sich alle auskennen und die Kinder Sicherheit haben. Der Rhythmus der Kinder in ihrer Entwicklung wird beachtet. Schon die Babys trainieren nach festen Abläufen: Erst das Bekannte, das wiederholt wird, dann kurz eine neue motorische Herausforderung, dann eine entspannende Übergangsbewegung oder Ruhepause.  Nach 2-3 Minuten wird der Zyklus wiederholt. Kinder, die genetisch einen schwächeren Rücken haben, robben oder krabbeln einfach ein oder zwei Wochen länger, bis der Rücken bereit ist für die Senkrechte, das ist alles. Kein Kind nimmt selbst einen Lernschritt auf sich, den es noch nicht erfolgreich selbst schaffen kann. Das geschieht intuitiv. Wir Eltern dürfen es nur nicht durch zu viel Anleiten aus dem Takt bringen. Die Babys spielen dann selbstverantwortlich und unabhängig mit viel Freude.

Der Mensch wird durch den Mensch - soziale Kompetenz!

Die soziale Kompetenz ist eng vernetzt mit der Anzahl der sozialen Berührungspunkte im Alltag. Daher werden hier die Kinder bei  sich anbahnenden Auseinandersetzungen nicht getrennt oder auseinandergesetzt. Es wird auch nicht über ihre Köpfe hinweg geschlichtet. Hier können die Kinder geführt Kontakte knüpfen. Wenn zwei Kinder die Rassel haben möchten, wird jedes Anliegen formuliert: Du möchtest jetzt gerne die Rassel haben? Das andere Kind hat die Rassel  gerade fallen lassen. Es möchte die Rassel wiederhaben. Was machen wir denn jetzt? Lassen wir den Kindern einen Moment Zeit, sich selbst zu äußern oder etwas vorzuschlagen. Oft hat das ein Kind nicht so starkes Interesse wie das andere. Oder es gibt mehr Rasseln zum Spielen. Im Spielraum wird begleitet und auch informiert: „Wir schlagen nicht.“ Dann in der Ruhe findet sich schon eine Lösung, die allen taugt oder wo man Ausgleich schaffen kann.

Zwischen Geschwisterkindern, die so begleitet aufwachsen entstehen in der Regel sehr tiefe Freundschaften und man merkt, dass die Vorbildfunktion und das für einander Dasein sehr geschätzt werden und eine starke Liebe die beiden verbindet. Rangeleien sind normal, doch die grundlegende Beziehung ist niet- und nagelfest, wenn die Dinge, die einander verbinden in den Vordergrund gerückt werden:  „Gestern hat er dich vor mir verteidigt.“, oder: „Beim Mittagessen hat sie dir die Hälfte abgegeben.“ Und er kann doch teilen:  „Erinnerst du dich an das letzte Mal am Spielplatz, da hatte dein Bruder dir die Schaufel  gegeben…“

Mit Begeisterung lernen durch empathisches Interesse und Vorbild

Hier lernen die Kinder im Nu und mit Begeisterung. Wie geht das? Ganz einfach: Der Motor ist die Aufmerksamkeit und Herzenswärme von uns Eltern. Wenn wir Eltern uns für unsere Babys Zeit nehmen und uns auch mal auf dem so grundsoliden Boden niederlassen, sind wir mit ihnen auf Augenhöhe, unsere zurückhaltende aber behütende Nähe und unser  gütiges und anteilnehmendes Interesse wirken auf die Kleinen, -  wie eine Wärmelampe auf die frischgeschlüpften Küken im Stroh, die sie schnell quicklebendig macht.

Das kleine Mädchen, das noch Gehen übt, hat ihren Bruder im Kindergartenalter beobachtet, er hat das Spielzeugauto und den kleinen Ball auf Bast die Babyrutsche runterrollen lassen. Geschwind greift sie sich beide kurz hintereinander und lässt sie flugs, bevor ihr Bruder danach greifen kann, die Rutsche hinabsausen. Gleich danach kommt sie die Rutsche herabgelaufen und gluckst vor Vergnügen. Sie klatscht begeistert in die Hände und wirft sich mit einem Jauchzen in die Arme ihres Vaters, der sie herzlich umarmt. Glückstrahlend schmiegt sie sich in seine Arme.

Willkommen bei JaVitalFit!

Bilder: Andrea Jacob

Wichtiger Hinweis: Die Bilder wurden während einer öffentlichen Veranstaltung aufgenommen. Es wurde der Fokus auf die Inhalte der Aktivitäten und der fachlichen Darstellung der Bewegungsabläufe gelegt. Dies berechtigt zur Verwendung. Nicht alle Personen sind namentlich bekannt. Wenn Sie sich auf den Abbildungen entdecken und dennoch eine Veröffentlichung nicht gut heißen, teilen Sie mir bitte kurz Ihre Einstellung bezügl. der Verwendung der entsprechenden Bilder mit. Ihrem Wunsch wird dann sofort nachgekommen. Dies ist ein Appel und gleichzeitig ein Dankeschön an alle, die helfen, dieses Wissen über die integere Bewegungsentwicklung der Kinder zugänglich zu machen.

Andrea Jacob
 

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